Kickers gegen Depression: Interview mit der Schirmherrin vom „Bündnis gegen Depression“ Viola Tamm

09.02.2022 / 14:30 Uhr

Depression zählt in Deutschland zu den stigmatisierten Volkskrankheiten. Mit der Institution „Würzburger Bündnis gegen Depression“ möchten die Kickers mithelfen, dieses Leiden besser zu verstehen. Diese Aufgabe hat sich auch die Singer-Songwriterin aus Aschaffenburg Viola Tamm gesetzt, die einen Song gegen Depression veröffentlich hat: "Enter the fray - Stürze Dich in den Kampf“ lautet der Titel. Im zweiten Teil unserer Interviewreihe berichtet sie nun aus der Sicht einer Genesenen über ihre Erfahrungen mit dieser Krankheit.

 

Kickers: Viola, danke, dass du dir die Zeit genommen hast, mit uns über Depression zu sprechen. Du bist vor ein paar Jahren selbst erkrankt. Wie geht es dir heute?

 

Viola: Also aktuell, muss ich ehrlich sagen, ging es mir nie besser in meinem Leben. Das Gute an einer Krise, in meinem Fall die Schwangerschaftsdepression (postpartale Depression), ist, dass einen wirklich nichts mehr umhauen, wenn man so eine Zeit überwunden hat. Ich blicke seitdem ganz anders auf das Leben und verspüre eine große Dankbarkeit für alltägliche Dinge. Viele Probleme werden sehr viel kleiner und deswegen bin ich sehr entspannt.

 

Kickers: Wann hast du die ersten Erfahrungen mit dieser Krankheit gemacht und wie hast du selbst gemerkt, dass etwas mit dir möglicherweise nicht stimmt? 

Viola: Es gab zwei einschneidende Situationen in meinem Leben. In der ersten hatte ich mit 16 Jahren extreme Angststörungen und Panikattacken entwickelt. Ich hatte immer Angst, dass ich umfalle, und konnte dann irgendwann deswegen nicht mehr in die Schule. Meine Mutter und ich wussten erst einmal überhaupt nicht, was mit mir los war. Zunächst haben wir an eine körperliche Erkrankung gedacht, so dass bei mir ein MRT, CT und vieles mehr gemacht wurden, aber alles ohne Befund. Das Thema psychische Erkrankung war damals noch nicht sehr fest in den Köpfen der Leute verankert, auch nicht bei uns. Irgendwann sagte ein Arzt zu uns, dass diese Symptome durchaus aus einer psychischen Erkrankung resultieren könnten.    

 

Kickers: Hast du dann für dich allein entschieden, dass du Hilfe brauchst, oder gab es Unterstützung seitens der Familie oder Freunde? 

 

Viola: Ich brauchte damals als Kind dringend die Unterstützung meiner Mutter. Ich habe mich freiwillig in eine Kinder- und Jugendpsychiatrie einliefern lassen, wollte nach einem Tag aber schon wieder gehen. Meine Mutter hat dann aber darauf beharrt, dass ich in der Klinik verbleibe. Somit würde ich ganz klar behaupten, dass ich definitiv damals den Beistand von außen gebraucht habe. 

 

Die zweite große Situation in meinem Leben war, als ich mit 35 Jahren schwanger wurde. Von Beginn an ging es mir psychisch schlecht. Ich war überfordert und mein Kopf war voller negativer Gedanken. Ich war ich zu der Zeit eine reine Katastrophendenkerin. Von jetzt auf gleich konnte ich nicht mehr schlafen, und das über Wochen. Auf dem Gipfel der Erschöpfung erkannte ich, dass ich mir Hilfe suchen musste. Dennoch schob ich meinen Zustand eher auf die Hormonumstellung in der Schwangerschaft, und nicht auf eine Depression. Ein Jahr lang habe ich danach noch mit der Erkrankung gekämpft, und dann war sie auf einmal weg. 

 

Kickers: Hast du in diesen beiden Phasen Medikamente einnehmen müssen?

 

Viola: Ich wurde in beiden Krankheitsabschnitten medikamentös behandelt. Während der Schwangerschaft war die Behandlung aber etwas problematischer, da es aus gesundheitlicher Perspektive nicht so viele Medikamente gibt, die man nehmen darf. Dennoch gibt es welche, die für das ungeborene Kind keine Gefahr darstellen. Nach der Geburt wurde anders therapiert und mit verschiedenen Antidepressiva ausprobiert, bis ich medikamentös irgendwann gut eingestellt war.

 

Kickers: Welche Anzeichen für eine mögliche Erkrankung gibt es?

 

Viola: Manche Symptome kann man selbst erkennen, manche Außenstehende. Schlafstörungen beispielsweise kann ich selbst wahrnehmen. Ein weiteres Anzeichen wäre, wenn man über einen längeren Zeitraum keine Lebensfreude mehr verspürt, was sowohl für einen selbst als auch für die Mitmenschen auffallend ist. Suizidgedanken sind ein sehr ernstzunehmender Hinweis auf eine psychische Erkrankung. Daher ist es wichtig, dass früh genug gehandelt und Hilfe gesucht wird. Depression ist eine Krankheit, in die man schleichend reinrutschen kann. Ich war irgendwann nicht mal mehr in der Lage, meine Zähne zu putzen oder eine Mail zu verfassen.

 

Kickers: Du bist Schirmherrin beim „Bündnis gegen Depression“. Wie wichtig ist es dir, dafür zu sorgen, dass psychische Krankheiten kein Tabuthema in der Gesellschaft mehr sind?

 

Viola: Mein Ziel ist es, dass wir irgendwann offen über derartige Leiden sprechen können, so wie über physische Probleme. Es schämt sich doch auch niemand, wenn er einen Bänderriss hat. Damit gehe ich doch dann auch zum Arzt. 

 

Kickers: Du bist als leidenschaftliche Musikerin eine Person der Öffentlichkeit, hast viele Fans und hattest den Mut, deine Erfahrung mit der Krankheit zu teilen. Wie wurde das in deinem Umfeld und bei deinen Anhängern aufgenommen?

 

Viola: Unglaublich gut. Ich arbeite da an etwas, in Zusammenarbeit mit dem „Bündnis gegen Depression“, was ganz viele Leute betrifft und ganz vielen Menschen das Gefühl gibt, dass ihre Probleme endlich gehört werden. Mut machen mir die vielen positiven Nachrichten: „Danke einfach, dass du uns eine Stimme gibst.“ 

 

Kickers: Welche Tipps hast du zum Beispiel für betroffene Fußballer*innen, wie könnten sie öffentlich mit der Situation umgehen?

 

Viola: Jeder Spieler*in muss für sich selbst Grenzen setzen. Wenn ein Fan beispielsweise herablassende und verletzende Sprüche über psychische Erkrankungen von sich gibt, ist es an dem Spieler*in, zu sagen: „Du hast keine Ahnung von meinem Weg. Du hast keine Ahnung, wer ich wirklich bin, und weißt nicht, welchen Kampf ich hinter mir habe. Ich bin nicht schwach und, wenn du das glaubst, dann ist es dein Problem und nicht meins. 

 

Kickers: Warum sollten Menschen keine Angst davor haben, sich direkt Hilfe zu suchen?

 

Viola: Jede Person in meinem Leben, die eine Therapie gemacht hat, mit einem Klinikaufenthalt oder ambulant, sagt hinterher: „Jeder sollte es machen. Es ist so gut und ich bin so viel stärker als vorher.“ Niemand hat es jemals bereut. Wie gesagt, Depression ist behandelbar. Ich glaube, der Punkt, an dem sich jemand Unterstützung suchen sollte, ist der, wenn er sich Gedanken macht, ob er Hilfe gebrauchen kann.

 

Kickers: Wir haben viele Punkte zu Depression angesprochen. Was ist dein persönliches Fazit? 

 

Viola: Diesem Leid muss sich niemand ergeben. Wenn du Hilfe in Anspruch nimmst, wirst du behandelt, sodass du wieder zu dir selbst finden kannst!  

 

 

Hilfe gegen Depression und weitere psychische Erkrankungen finden Sie hier:

Zentrum für Psychische Gesundheit, Universitätsklinikum Würzburg: 0931/201-77800 (nachts und am Wochenende: 0931/201-76393)

Krisendienst Bayern: 0800 / 655 3000

Zentrum für Seelische Gesundheit am König-Ludwig-Haus: 0931/803-0

 

 

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