Kickers gegen Depression: Interview mit apl.-Prof. Viola Oertel

16.02.2022 / 14:30 Uhr

Der Monat Februar steht bei den Würzburger Kickers weiterhin im Zeichen der Krankheit Depression. Diesmal haben wir ein Gespräch mit apl.-Prof. Dr. Dipl.-Psych. Viola Oertel geführt. Sie hat sich in den vergangenen Jahren mit dieser Erkrankung spezifisch im Sportbereich beschäftigt und dazu auch zwei Publikationen herausgebracht. Seit 2015 leitet Sie die sportpsychatrische Sprechstunde an der Klinik für Psychatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Goethe-Universität Frankfurt. In unserem dritten Teil der Interviewreihe berichtet Frau Oertel über mögliche Faktoren, Ursachen und Auswirkungen von Depression im Leistungssport.

 

Kickers: Gibt es bei Sportlern „Vorstufen“ der Depression? 

 

Frau apl.-Prof. Oertel: Bei den meisten betroffenen Menschen kommt eine Depression nicht von heute auf morgen, sondern nach und nach schleichen sich Veränderungen ein. Wir nennen das auch die „Depressionsspirale“. Die Veränderungen oder „Frühwarnzeichen“ können dabei vielfältig sein, häufig sieht man Schlafstörungen, innere Unruhe, Gereiztheit, das Gefühl, weniger schaffen zu können und Antriebslosigkeit. Das ist bei einem Sportler nicht anders als bei anderen Personen.

 

Kickers: Wie viele (Leistungs-)Sportler erkranken jedes Jahr?

 

Frau apl.-Prof. Oertel: Eine Studie aus dem Jahr 2016, die in der Fachzeitschrift „Sports Medicine“ veröffentlich wurde, kam zu dem Ergebnis, dass Angststörungen und Depressionen bei Spitzensportler etwa gleich häufig wie beim Rest der Bevölkerung verteilt sei. In Deutschland leiden ca. 10 % der Bevölkerung unter einer affektiven (darunter fällt die Depression) und ca. 15 % unter einer Angststörung.

 

Kickers: Was sind mögliche Ursachen bei Sportlern?

 

Frau apl.-Prof. Oertel: Ursachen der Depression sind vielfältig; neben biologischen Faktoren (Genetik, Neurotransmitter) spielen bestimmte Persönlichkeitseigenschaften und Umweltfaktoren eine Rolle. Sportler haben beispielsweise häufig einen hohen Leistungsanspruch und sind perfektionistisch veranlagt. Das hilft ihnen, ihren Sport gut auszuführen. Gleichzeitig sind diese Eigenschaften jedoch auch mögliche Risikofaktoren für eine Depression. Generell weist man dann verschiedene Belastungsfaktoren auf; kommen dann noch weitere aktuelle Belastungsfaktoren hinzu; z.B. ein hoher Wettkampf- oder Leistungsdruck oder ein Misserfolgserlebnis, kann es zu einer Depression kommen. Die Anforderungen an Sportler sind extrem hoch, Spielpläne dicht und mit zu wenig Pausen; der Konkurrenzkampf ist groß. Auch Verletzungen, die dann zu Ängsten und Unsicherheiten („schaffe ich es, meine Leistung wieder zu erreichen“?), können einen Risikofaktor für eine Depression darstellen. Zudem gaben Nixdorf und Beckmann (2013) an, dass chronischer Stress, Stressverarbeitungsstrategien und die Balance zwischen Erholung und Belastung bei der Entstehung von Depressionen im Spitzensport eine Rolle spielen. 

 

Kickers: Spielen Social Media oder Hasskommentare eine Rolle bei der Entwicklung einer Depression?

 

Frau apl.-Prof. Oertel: Die dauerhafte Bewertung und der dadurch steigende Druck, zu leisten, ist für einen Sportler, enorm. Jeder Schritt wird verfolgt und kommentiert. Fehler, die sich jeder Mensch im normalen Berufsalltag leistet, werden vielfach negativ bewertet und oft wochenlang diskutiert. Dies kann für einen Sportler extrem belastend sein. 

 

Kickers: Ist das Thema Depression auch wegen solcher Faktoren bei Sportlern ein Tabuthema?

 

Frau apl.-Prof. Oertel: Das Bild eines Sportlers ist das eines jungen, erfolgreichen und starken Menschen. Psychische Gesundheit wird bei einem Sportler häufig vorausgesetzt. Psychische Probleme passen nicht zu dem Bild, das man von einem Sportler hat der haben möchte. Sportler haben Angst, wenn sie psychische Probleme benennen, dass sie dann aus der Mannschaft fliegen oder nicht in den Kader berufen werden; daher werden solche Probleme häufig verschwiegen. 

 

Kickers: Was wünschen Sie sich für die Zukunft mit Blick auf den Leistungssport und das Thema Depression?

 

Frau apl.-Prof. Oertel: Insgesamt wünsche ich mir für das Thema Depression, dass die Aufklärung über die Erkrankung und über mögliche Behandlungswege weiter voranschreitet und zunehmend mehr „Normalität“ erhält. Vielleicht ist es dann irgendwann so, dass Menschen mit Depressionen genauso darüber sprechen können wie Menschen, die z.B. unter einer körperlichen Erkrankung leiden. Das gleiche gilt natürlich für den Sport. 

Ich denke, es ist wichtig, die Botschaft weiter zu verbreiten, dass Depressionen gut behandelbare Erkrankungen sind, die folgenlos ausheilen können. Ein Mensch mit Depressionen kann und ist genauso leistungsfähig wie ein Mensch ohne Depressionen. Betroffene Menschen fühlen sich häufig in akuten Krankheitsphasen antriebslos, können sich schlecht konzentrieren und fühlen sich weniger leistungsfähig. Die meisten Depressionen verlaufen jedoch episodenhaft; d.h. nach einer Krankheitsphase bessert sich die Symptomatik, heilt manchmal auch folgenlos aus. Zudem sind Depressionen sehr gut mit Medikamenten und Psychotherapie behandelbar.

 

Kickers: Ist Sport gut für die Psyche?

 

Frau apl.-Prof. Oertel: Sportliche Bewegung erhöht die Produktion von Neurotransmittern, wie z.B. von Serotonin und Dopamin. Diese gehören zu den sogenannten „Glückshormonen“, können eine stimmungsaufhellende und antriebssteigernde Wirkung haben. Zudem wirkt Sport der Ausschüttung von Stresshormonen wie Adrenalin und Cortisol entgegen. Daher gehört das Implementieren von Bewegungselementen heutzutage zu einer multifaktoriellen Depressionsbehandlung dazu.

 

 

Hilfe gegen Depression und weitere psychische Erkrankungen finden Sie hier:

Zentrum für Psychische Gesundheit, Universitätsklinikum Würzburg: 0931/201-77800 (nachts und am Wochenende: 0931/201-76393)

Krisendienst Bayern: 0800 / 655 3000

Zentrum für Seelische Gesundheit am König-Ludwig-Haus: 0931/803-0

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