Kickers gegen Depression: Interview mit unserem Jugendtorwarttrainer Sebastian Dürnagel

23.02.2022 / 15:30 Uhr

Das Thema Depression findet im Februar weiterhin einen wichtigen Platz bei den Würzburger Kickers, mit dem Ziel, diese Krankheit zu enttabuisieren. Im letzten Teil unserer Interviewreihe spricht Sebastian Dürnagel, der aktuell im Nachwuchsleistungszentrum ist, offen über seine eigene Erkrankung. 

 

Kickers: Hallo Sebastian, schön, dass du dir Zeit genommen hast, um mit uns über das Thema Depression zu sprechen. Wann ist sie bei dir das erste Mal aufgetreten und welche Ursachen gab es dafür?

 

Sebastian Dürnagel: Weihnachten 2020 ging es ungefähr bei mir los. Dabei spielten zwei Faktoren eine zentrale Rolle: Corona und familiäre Gründe. Zum einen arbeitete ich in dieser Zeit oft im Homeoffice und zum anderen haben meine Partnerin und ich uns in dieser Zeit getrennt. Wir haben zwei gemeinsam tolle Kinder, die in der Trennungsphase zu der Mutter gezogen sind. Aufgrund der veränderten Lebenssituation sind bei mir viele Ängste und Unsicherheiten zusammen gekommen. Hierbei spielte unter anderem die finanzielle Situation, das Alleinsein, das Vermissen der Kinder sowie die neue Gestaltung meines Alltags eine Rolle. Ich bin morgens kaum mehr aus dem Bett gekommen, bei den Trainingseinheiten für die Kickers war ich nicht mehr mit Spaß und Motivation bei der Sache. Durch diese ca. zweiwöchige Phase habe ich mich dann durchgeschleppt, bis zu dem Punkt an einem Wochenende, an dem ich emotional komplett überfordert war und daraufhin entschied, einen Arzt aufzusuchen.

 

Kickers: Den entscheidenden Schritt, zum Arzt zu gehen, hast du allein geschafft. Wie war der weitere Verlauf deiner Therapie?

 

Sebastian Dürnagel: Ich war zunächst bei meinem Hausarzt vorstellig. Er sagte mir dann in einem Gespräch, dass mein Zustand in Richtung von Depression gehe. Für mich gab es dann zwei Alternativen: eine ambulante oder stationäre Therapie. Ich habe mich für die stationäre Behandlung entschieden, woraufhin ich dann an die offene Depressionsstation des Bezirkskrankenhauses in Lohr verwiesen wurde. Dort war ich insgesamt sechs Wochen. Die ersten vierzehn Tage ging es vornehmlich darum, mich zu entspannen. Vor der eigentlichen  „Kern-Therapie“ sollte  zunächst ein geregelter Tagesablauf etabliert werden. Dieser sah so aus, dass ich morgens immer zur selben Zeit aufstand und verschiedene Programme, wie autogenes Training, Yoga oder progressive Muskelentspannung, absolvierte. Dabei wurde die Depression als Krankheit detailliert vorgestellt und erläutert. Außerdem konnte ich mich, wie bei einer Kur, frei bewegen, an die frische Luft gehen und auch Angehörige empfangen. In dieser Einführungsphase gab es zudem eine ärztliche Ersteinschätzung meiner Krankheit sowie eine medikamentöse Einstellung. Der Chefarzt teilte mir anschließend mit, dass die geschlossene Abteilung nicht zur Debatte stünde. Schließlich kamen ab der dritten Woche die Psychologen ins Spiel. Sie erarbeiteten in tiefgründigen Gesprächen eine Persönlichkeitsanalyse. Diese erstreckte sich über meine Kindheit bis zur Gegenwart. Dabei ist tatsächlich ein Kindheitstrauma hochgekommen, was ich bisher noch nicht vollständig verarbeitet hatte.

 

 

Kickers: Ein Klinikaufenthalt wirkt für viele auf den ersten Blick möglicherweise beängstigend. Hattest du mit solchen Gedanken zu kämpfen?

 

Sebastian Dürnagel: Ich hatte schon eine gewisse Angst vor der Klinik. Vor allem der Gedanke, dass ich dort mit Medikamenten vollgepumpt und vielleicht nicht mehr so einfach entlassen werde. Ein weiterer Gedanke war sicherlich, die Kontrolle über mich selbst zu verlieren und überfordert zu sein. 

 

Kickers: Ängste gab es sicherlich auch, diese Krankheit anderen Menschen in deiner näheren Umgebung mitzuteilen. Wie war die Reaktion?

 

Sebastian Dürnagel: Meine Freundin informierte damals Ralf Santelli bei den Kickers und Heinz Reinders bei den FWK-Frauen (wo ich zu der damaligen Zeit zusätzlich tätig war). Von beiden erhielt ich großen positiven Zuspruch hinsichtlich meiner bisher geleisteten Arbeit, meiner Ehrlichkeit und dafür, dass ich mir genügend Zeit für die Genesung nehmen solle. Über meinen Klinikaufenthalt setzte ich auch meinen Arbeitgeber in Kenntnis, der diesen ebenfalls gut heißt. Das hat mir für die anstehende Therapie viel Kraft gegeben.

 

Kickers: Welche medizinischen Möglichkeiten nutzt du jetzt noch?

 

Sebastian Dürnagel: Ich bin derzeit bei einer Diplom Psychologin in Veitshöchheim in Behandlung. Zusätzlich bin ich bei einem Facharzt für Psychiatrie in einem festen Turnus vorstellig. Diese besuche ich alle zwei/drei Wochen. Medikamentös ist es im Moment so, dass ich noch das gleiche Medikament wie in der Klinik einnehme, auch in derselben Dosierung. Ab kommenden März soll es aber unter therapeutischer Aufsicht schrittweise bei mir abgesetzt werden, sodass es zu keinem Rückfall kommen wird.

 

Kickers: Ein Tabuthema, so wirkt es zumindest, ist die Krankheit noch immer im Leistungssport und vor allem im Fußball. Du warst selbst Leistungssportler und auch beim 1. FC Nürnberg unter Vertrag. Druck spielt dabei immer eine Rolle. Wie siehst du die Problematik im Fußball und wie bist du damals mit dieser Last umgegangen?

 

Sebastian Dürnagel: Ich glaube, im Fußball gibt es immer noch diesen Gedanken, durchgehend stark sein zu müssen. Gerade im Männerbereich ist das Zeigen von Schwäche für viele immer noch ein No-Go. Das öffentliche Bekennen dazu, dass es einem gerade psychisch nicht gut geht, und die damit einhergehende Möglichkeit, sich eine Auszeit nehmen zu können, wird scheinbar immer noch nicht gerne gesehen.

Diesen Druck habe ich bei mir im Leistungssport auch verspürt. Möglicherweise hatte ich bereits zu der Zeit in Nürnberg eine depressive Phase. Ein Physiotherapeut kam damals nämlich auf mich zu und meinte, dass mein vegetatives Nervensystem komplett überlastet sei. In Nürnberg war ich vier Jahre lang dritter Torwart gewesen und wollte unbedingt im Profibereich bleiben. Die Situation, dass es für mich im aktiven Leistungssport nicht mehr weitergehen sollte, hat mich enorm unter Stress gesetzt. Auch wenn ich mir diesen vor allem selbst gemacht habe. Zu dieser Zeit gab es aber auch noch keinen Sportpsychologen im Team, der mir hätte helfen können.

 

Kickers: Du bist bei uns Torwarttrainer im Nachwuchsleistungszentrum im Verein. Wie nimmst du deine Erfahrung mit der Krankheit und dem Druck im Leistungssport in dein Training auf?

 

Sebastian Dürnagel: Ich achte schon darauf, ob die Spielerin oder der Spieler gut drauf ist. Wir sind vor allem im Bereich der Ausbildung tätig. Dort ist der Leistungsgedanke auf der einen Seite wichtig, um zu motivieren, auf der anderen Seite aber versuchen wir, den Jungs und Mädels trotzdem den Rücken freizuhalten und sie nicht zu überbelasten. Wenn bei einem Spieler es Auffälligkeiten gibt, nutzen wir die Möglichkeit, aktiv mit unserem Sportpsychologen im Nachwuchsleitungszentrum zu arbeiten. Auch ein enger Austausch mit den Eltern ist für uns elementar.

 

Kickers: Zum Abschluss unseres Gesprächs: Warum sollten sich depressionskranke Menschen unbedingt Hilfe suchen? Welche Tipps kannst du ihnen geben?

 

Sebastian Dürnagel: Erst einmal ist es wichtig, zum Hausarzt zu gehen und ehrlich anzusprechen, was mit einem los ist, und nicht den Starken zu spielen. Depression ist sehr gut behandelbar und es gibt die Möglichkeit, wieder voll zu genesen. Daher kann ich nur jedem raten, seine Scham zu überwinden, denn ihr seid nicht allein mit eurem Leiden

 

 

Hilfe gegen Depression und weitere psychische Erkrankungen finden Sie hier:

Zentrum für Psychische Gesundheit, Universitätsklinikum Würzburg: 0931/201-77800 (nachts und am Wochenende: 0931/201-76393)

Krisendienst Bayern: 0800 / 655 3000

Zentrum für Seelische Gesundheit am König-Ludwig-Haus: 0931/803-0

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