Florian Kohls' Zeit in der Reha

23.01.2018 / 08:30 Uhr

Ein Kreuzbandriss in der Saisonvorbereitung kostete Florian Kohls die komplette Hinrunde. In der Reha arbeitet der Mittelfeldspieler der Würzburger Kickers hart an seinem Comeback. Nun ist er auf den Trainingsplatz zurückgekehrt.

 

Als sein linkes Bein den Rasen verlässt, spannt sich sein vorderes Kreuzband unweigerlich an. Florian Kohls‘ Knie steht unter höchster Belastung. Kohls, jung, kräftig gebaut, rote Regenjacke, schwarze Hose, schwarze Mütze, weiße Schuhe, springt über die aufgestellten Hürden und sprintet slalomartig um die im Boden steckenden Stangen. In vollem Tempo schnappt er sich einen der vielen weißen Bälle, dribbelt um die vor dem Strafraum stehenden Hütchen und schießt: Tor!

 

Es ist kalt an diesem Freitagmorgen auf dem Trainingsplatz in Randersacker, und doch dürfte Kohls ganz warm ums Herz sein: Der 22-jährige Mittelfeldspieler des FC Würzburger Kickers hat es geschafft – er steht, nach seinem im Sommer erlittenen Kreuzbandriss, zurück auf dem Rasen. Zwar sieht der Reha-Plan vorerst nur ein individuelles Programm vor, aber allein dieses Gefühl zu spüren: Zum ersten Mal seit einem halben Jahr darf Kohls wieder die Fußballschuhe schnüren. Den Duft des Grases einatmen. Gegen einen Ball treten. Kohls dreht eine Pirouette, jongliert ein paar Mal mit dem Ball und bestätigt: „Fühlt sich gut an.“ Vergessen scheint die lange Zeit des Leidens, überwunden der Tag, an dem er sich so schwer verletzte.

 

Kreuzbandriss beim ersten Test

 

Es war der 7. Juli, auch ein Freitag, das weiß Kohls noch ganz genau. Der gebürtige Berliner hatte sich viel vorgenommen nach seinem Wechsel vom Bundesligisten Hertha BSC zu den Kickers. „Ich bin hier schon mit Ambitionen hergekommen“, sagt er selbstbewusst. Doch im Trainingslager im österreichischen Bad Häring, in dem sich die Rothosen auf die neue Saison vorbereiteten, kam alles anders. „Ich habe einen Schmerz gespürt, aber dass es so schlimm ist, hätte ich im ersten Moment nicht gedacht“, schildert Kohls heute den Moment des Unglücks: Bei einem Trainingsspiel blieb er im Rasen hängen und verdrehte sich sein linkes Knie. Mit bitteren Folgen: Sein vorderes Kreuzband und sein Meniskus rissen. Die Ärzte verdonnerten ihn zu sechs bis acht Monaten Pause.

161 Tage später hat Kohls den Großteil davon gemeistert. „Mir geht es wieder gut“, sagt er auf dem kurzen Gehweg ins Vereinsheim. Die erste Einheit auf dem Rasen ist geschafft. Kohls zieht seine weißen, mit Dreck beschmutzten Schuhe aus und betritt die Kabine mit der Aufschrift „Heimmannschaft“. Auch so ein Gefühl, das er lange nicht kannte. Es riecht nach Schweiß. Kohls reist sich die Klamotten mit der Nummer 23 vom Leib und wirft sie in eine silberne Kiste, die einsam auf dem Gang steht. Dann greift er zu seinem Smartphone: „Hallo Annika! Das Training hat leider etwas länger gedauert, kann ich auch eine halbe Stunde später kommen?“ Annika ist Kohls Reha-Trainerin, bei ihr steht am Nachmittag die zweite Einheit an. „Super“, spricht Kohls in sein Handy, „dann bis später.“ Der Fußballprofi öffnet einen der Holzschränke, die über der Garderobe hängen, stellt seine Schuhe zwischen die zahlreichen Paare und verriegelt das Schloss. Dann verschwindet er unter der Dusche.

 

Die Anfangszeit war für Kohls nicht einfach. Nachdem er in Straubing erfolgreich operiert worden war, entschied er sich nach Rücksprache mit dem Trainerstab und der Klubführung, die Reha nicht in Würzburg, sondern in seiner Heimat in Berlin zu absolvieren. Es war Kohls erste schwere Verletzung. Er brauchte eine gewohnte Umgebung in einer für ihn ungewohnten Situation: Er lief auf Krücken, trug eine Orthese. „Meine Familie hat mich in dieser Zeit sehr stark unterstützt“, ist Kohls heute dankbar, „ohne sie wäre es sicher hart gewesen.“ Wenn der Mittelfeldspieler über seine Verletzung spricht, dann tut er das klar und reflektiert. Ein Profi muss so etwas wegstecken können, ist ein Satz, den Kohls nicht ausspricht, der in seinen Aussagen aber durchaus mitschwingt. „Natürlich gab es auch Momente, in denen man zweifelt“, sagt er rückblickend, „aber ich habe mir versprochen: Ich nehme die Situation nun an, wie sie ist, und versuche, das Beste draus zu machen und dann mit voller Kraft zurückzukommen.“

 

Ich nehme die Situation nun an, wie sie ist, und versuche, das Beste draus zu machen und dann mit voller Kraft zurückzukommen.

Florian Kohls

 

Und Kohls machte das Beste draus. Er arbeitete hart – vom ersten Wiederanspannen des Knies bis zum mühsamen Muskelaufbau. In der Physiotherapie, in der er sich täglich quälte, wurde er perfekt betreut. Er kannte sie gut von seiner Zeit bei der Hertha, für die er vor seinem Wechsel nach Würzburg insgesamt acht Jahre gespielt hatte. Angefangen in der D-Jugend bis hin zum bisherigen Highlight seiner Karriere: Am 23. April 2016 durfte Kohls sein Profi-Debüt in der Bundesliga geben – und das gegen den FC Bayern vor über 76 000 Zuschauern im ausverkauften Berliner Olympiastadion.

 

Diese Erinnerung ist es auch, die Kohls die lange Reha-Zeit über angetrieben hat. Die Sehnsucht, wieder im Spielertunnel zu stehen, vor tausenden Menschen auf den Rasen zu laufen und einfach nur Fußball spielen zu können. „Wenn man von außen zuschauen muss, fühlt man sich manchmal schon hilflos, weil man der Mannschaft nicht helfen kann“, sagt der Rechtsfuß. Gerade am Anfang der Saison, als es für die Kickers alles andere als rund lief und die Mannschaft sogar im Abstiegskampf steckte, sei das schwer gewesen. „Inzwischen läuft es ja zum Glück ganz gut“, schmunzelt Kohls angesichts der eindrucksvollen Serie von sechs Siegen in Folge, die seine Mannschaftskameraden zum Jahresende hingelegt haben.

Der Erfolg ist zurück am Dallenberg – das gilt nicht nur für die Kickers, sondern auch für Kohls persönlich. Seit Dezember trainiert der defensive Mittelfeldspieler wieder beim Drittligisten in Unterfranken. Es ist inzwischen Nachmittag. Im Würzburger Norden erstreckt sich entlang der Schweinfurter Straße ein beeindruckender Gebäudekomplex, dessen Bauweise an den Kubismus des frühen 20. Jahrhunderts erinnert: vieleckige Architektur, durchbrochene Kuben, malerisches Äußeres. Im dritten Stock des Gebäudes befindet sich das Sport- und Gesundheitszentrum „Predia“, in dem die Lizenzspieler der Würzburger Kickers sportmedizinisch betreut werden. Die Umgebung, in der hier trainiert wird, versprüht Frische und Moderne: Die Geräte sind nagelneu, an den weißen Wänden hängen schwarze Bildschirme, die das Trainingsprogramm zeigen, und inmitten des mit Licht durchfluteten Kraftraums steht die Maschine, die Kohls die Schweißtropfen auf die Stirn treiben lässt. „Ich will hier raus“, sagt Kohls mit gesichtsverzerrter Miene. Sein Oberkörper ist an einen Sitz geschnallt, sein linkes Bein an einem Hebel fixiert. „Du sollst nicht jammern“, entgegnet ihm eine junge Frau, blonde Haare, schwarze Leggings, blaues Shirt. Es ist Annika, Kohls' Reha-Trainerin. Vor den beiden steht ein schwarzer Monitor, der Kohls' Leistungen aufzeichnet. Mit all seiner Kraft versucht der Fußballprofi, sein Knie nach oben zu strecken, sein Gesicht verzieht sich. Auf dem Monitor ist ein Koordinatensystem zu sehen, in dem sich eine blaue Linie bildet, als zeige sie den Aktienkurs eines Unternehmens: 130 Newtonmeter. „So sieht das aus, wenn jemand kaputt ist“, schmunzelt Annika.

 

Reha bedeutet harte Arbeit

 

Isokinetik heißt die zweite Einheit des Tages. Sie soll Kohls Oberschenkel wieder kräftig und muskulös machen. Das Besondere: Der 22-Jährige trainiert dabei nicht, wie an herkömmlichen Maschinen üblich, mit Gewichten, sondern nur mit einem Widerstand, der sein Kniegelenk schont, aber gleichzeitig effizienten Muskelaufbau ermöglicht. Wenn Kohls ein paar Monate zurückdenkt und ihm die Bilder in den Kopf schießen, wie sein Bein nach vier Wochen Gehen auf Krücken aussah, dann weiß er nicht, ob er lachen oder weinen soll: „Mein linkes Bein sah aus wie ein Zahnstocher.“ Doch das ist längst Geschichte, inzwischen liegt Kohls Leistungsfähigkeit wieder bei 90 Prozent. „Komm, eine Wiederholung geht noch“, sagt Annika, während sie den Monitor beobachtet. Kohls streckt sein Knie erneut gegen den Widerstand, und unterhalb der blauen Linie erscheint eine zweite, diesmal in Rosa: 120 Newtonmeter.

 

Reha bedeutet harte Arbeit, doch sie lohnt sich: Anfang Januar konnte Kohls zusammen mit dem Profi-Kader ins Trainingslager, ins spanische La Manga reisen, auch wenn er dort vor allem individuelles Training absolvierte. „Wenn ich Mitte Februar wieder voll mitmischen kann, wäre das super, aber ich mache mir keinen unnötigen Druck“, sagt er. Doch ein Minimalziel hat sich der gebürtige Berliner schon gesteckt: „Ich möchte auf jeden Fall noch in dieser Saison mein erstes Pflichtspiel für die Kickers bestreiten.“

 

Der Schweiß hat Kohls‘ rotes Trainingsshirt im Brustbereich inzwischen in ein weinrotes verwandelt. „So, und jetzt zerstören wir dich richtig“, sagt Annika mit diabolischem Grinsen. Sie drückt eine kleine Taste, die sich gegenüber der Trainingsmaschine befindet, und der Bildschirm zeigt die eingestellte Geschwindigkeit an: 60 Gradzahl pro Sekunde. „Du bist verrückt“, entgegnet Kohls stirnrunzelnd. Als er sein Bein nach oben streckt, spannt sich sein vorderes Kreuzband erneut an.

 

Kohls ist erschöpft, aber rehabilitiert.

 

Eine Reportage von Karsten Fehr

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